Dr. Anton Sergl
Potraitlandschaftsstilleben

Gedanken über Oliver Estavillos gleichnamiges Bild

Portrait, Landschaft und Stilleben - das geht nicht zusammen. Wenn diese drei klassischen Bildformen zu einem einzigen  Sujet verschmelzen sollen, dann bedarf es einiger Gewalt. Ein Kampf der Genres ist vorprogrammiert. Nicht genug damit. Oliver Estavillo thematisiert auch noch die fließende Grenze zwischen geistlicher, weltlicher, symbolischer und naiver Malerei.

Was ist dargestellt:? Eine Einladung zur Enthauptung, wie Nabokov einen seiner Romane genannt hat, der übrigens unter dem (einem fiktiven Autor und Plagiator Chateaubriands unterschobenen) Motto steht: Comme un fou se croit Dieu, nous nous croyons mortels.“ Die Komposition wirkt auf den ersten Blick denkbar simpel. Wie gern bei Oliver Estavillo ist der Bildaufbau völlig symmetrisch, und spricht den Lehren der Perspektive und des goldenen Schnitts Hohn. Die Bildhöhe läßt sich einfach dritteln. Das je etwas schmalere ober und untere Dittel werden vom breiteren mittleren unten durch die Kantenlinie eines Tisches und oben vom fast schnurgeraden Saum einer Baumallee über die gesamte Fläche durchteilt.

Oliver Estavillo liebt plumpe Symmetrien. Da er immer gern alles erst recht macht, was nicht gemacht wird, ist diese Symmetrie aber eine des unverhohlenen Protests gegen einfache Fluchten vor dem sich offensichtlich Anbietenden. Oe will offen gesagt, auf alle Gefahr hin, mitten hinein, und also setzt er auch keine Signale, die die Vorstellung einer Mitte in Zweifel zögen. Warum kompliziert, wenn man auch gerade heraus sein kann? In der Mitte des Bildes sieht man den wie weiland bei Johannes dem Täufer dank Frau Salomé abgeschlagenen Kopf mit den Zügen des Künstlers, der ohne der Gefahr zu kippen ausgesetzt zu sein auf einer goldenen Platte im eigenen Blut steht. Die Abtrennung am Hals ist durch angedeutete Wunden vorsichtig markiert.

Das Blut bildet eine Art See Genezareth mit leichten Wellen. Es wirkt etwas ölig (Blut ist Farbe und vice versa!), ja vielleicht wie rotes Quecksilber, das magische Elexier der Hexerei, bilden doch einige Tropfen jenseits der geschlossenen Lache eigenartig sich zusammenziehende Kugeln. Die seitlich zumindest leicht angestoßene, und also wohlö eher vergoldete Platte ist ansonsten unverspritzt. Ein Heiligenschein liegt hier also in karnevalesker Verklehrung von oben und unten an der Stelle der Wunde ansatt da, wo er traditionell über dem Schädel schwebt. Da befindet sich ein riesiger brauner Lederhut nach Cowboymanier. Das Gesicht selbst ist blutleer, gipsern das einer Büste. Ein leichter Lilastich schimmert auf der graunen Haut. Leblos ist es aber nicht. Die Augenbrauen sind in zweifelnde Falten in die Stirn gehoben. Der schwarze Goatee ist perfekt rasiert. Der verschlossene Mund ist nicht von Leiden verzerrt, aber er lächelt auch nicht. Es ist ein Mund, wie man ihn vom triumphierenden Weltenherrscher in der Ikonenmalerei und von coolen Pkerfaces in amerikanischen Filmen kennt. Das Kinn und die untere Wangenpartie ist leicht vom Alter verfettet. Dieses Selbstportrait ist nicht nur schmeichelnd oder gar eitel schwul mit dem religiösen Kitsch kokkettierend.

Unter der Platte bauscht sich ein rosarote, in leichten Faltenwürfen drapiertes Tischtuch. Was ist es, das da und dort unter dieser unzerrissenen, mit der Farbe gesunder Haut gesegneten Decke heraus drängt? Hier ist ein mädchenhafter Scheier über ein Unding drapiert. Auch die blaue Decke, die den Faltenwurf der Gebirge im Hintergrund bildet, nimmt das rätselhafte Motiv der Faltung noch einmal vergößert auf. Wasa für ein Körper liegt unter diesem Tisch? Der Rumpf des Künstlers, der sich nur mit dem Kopf heraus traut, der sich wie ein kleines Kind zum kaum über den Tischrand-Hinaussehen verurteilt sieht? Der Künstler hat sich auf den Tischrand festgelegt, aber er bekommt ihn nicht in den Griff. der Tisch verursacht den Schnitt. Das gemahnt leicht an die Stil-Probleme der Tischtücher bei Cézanne, an den auch der mit der blutroten Seite nach innen zum zentralen Haut gedrehte Apfel gemahnt. Ist es der Apfel des Sündenfalls und war die Eva rächende Salomé doch mit am Werk bei dieser Kopfabscheiderei? Die goldene Platte wird gerahmt von einer Plastik- bzw. Blechgabel links, unordentlich in eine wohl schon berührte, aber nicht benutzte ockerfarbene Serviette geschoben, und einem veritablen Steakmesser rechts, das ordentlich mit der Schneide zur Platte hin aufgelegt ist. Die Serviette ist sauber. Eine heilige Veronika, die sich um das Auffangen der Wunde für die Ewigkeit bemühte, fehlt. Andererseits ist ja bereits der Schnitt jenseits chrirurgischer Exaktheit. Mit dem Messer am Tisch wurde nicht gearbeitet. Wer wischt das noch sauberer als der Maler selbst?  Wiederum rechts vom Messer steht eine entkorkte Rotweinflasche mit langem Hals aus grünem Glas. Ein erstes Glas wurde offensichtlich in den links vorne stehende Weinstilglas gegossen. Diese Fließrichtung bezeichnet offenbar die Zeitachse der Komposition. Rechts ist vorher, links später. So besehen verwundert es auch nicht mehr, dass der Kopf leicht nach links angedreht ist. Von dieser zwielichtigen Selbstentrumpfung kann man wie auf Verbrecherfahndungsfotos zwar das rechte Ohr sehen, nicht aber die wirklichen Augen, die hinter einer schwarzen (Sonnen?-)Brille verborgen sind.

Die Brille stellt wie der Hut auch ein logisches Problem. Wie kann man jemand köpfen, ohne dass Brille und Hut herunterflögen? Ist das zynische Verhöhnung der Anmassung des leidenden Künstlers? Selbstinfragestellung. Oder Hinweis darauf, dass man auf OE Bilder immer auch alles einmal um 180 Grad drehen muss, das untere oben und umgekehrt lesen sollte? Gerade indem er die Beine Wegläßt, stellt OE seine Welt vom Kopf auf die Beine. Das Blau hinter den Gläsern bezieht sich farblich auf das Blau der Berge im Hintergrund. Die Augen werden mit dem am weitesten entfernten und weitläufigsten Teil der Landschaft, quasi mit dem Horizont der Komposition selbst, in Verbindung gebracht, der sich noch dazu nicht für den Blick des abgeschalgenen Hauptes bietet, sondern nur für den frontalen Betrachter, außer man nähme an, dass sich um den zentralen Kopf eine Landschaft als echter Karusellzirkel schließen ließe. Der anzunehmende Blick, gebrochen hinter den Brillengläsern angedeutet, die zusammen mit Weinflasche und Weinglas ein Glastryptichon im Sinn der Spiegelmetapher des Stillebens bilden, ist gedenfalls nach links vorne gerichtet. Hier sieht ein Kopf in die Zukunft, nicht zurück.

Ein weiterer gegenstand befindet sich am Tisch quasi in größtmöglicher Zukunft. Es ist ein Disc-Man-Gerät. Die Kopfhörerstöpsel hängen vor dem Tisch leicht verwurstelt herunter. Was ist scheppern daraus zu hören: Tafelmusik? Blutgesänge? Unterdem an die lila Haupt des Schädels gemahnende Farbe des Deckels ist der Blick frei auf die goldene Disc selber, die die goldene Servieraureole wiederholt. Ist auf diesem Medium die Aufnahme des abfließenden Künstlerschädels zu vermuten? (Rilkes ”Urgeräusch“ ließe grüßen.) Was wird nach unten abgeleitet? Die Aufschrift Disc kann ebenso entziffert werden wie die Anzeige 120. 120 Karat Gold? Die 120 Tage von Sodom nach de sade? Nimmt man rechterhand das Etikett der fast nach hinten verdrehten Weinflasche hinzu, wo man „ine“ als Endung von „Wine“ aber auch als „me“ rekonstruieren kann, dann läßt sich der formalistische Titel auf der Rückseite des Bilds durch einen zweiten auf dem Bild ergänzen: Me, Discman. Ich bind er Mann auf der Platte. Dabei kommt hinzu, dass OE Bilder stehts zu einer sehr flächig-plattenhaften Darstellung tendieren. Perspektive ist vor allem Bedeutungsperspektive (besonders in Bezug auf den menschlichen Körper) wie in der religiösen Kunst vor Giotto, bei den Naiven oder oft im Comic. Dabei kommt es auf Farbe, Größe und Verhätnis der Obkete und Objektzeichen an, nicht auf ihre Staffelung im Raum. Der Mann auf der Disc ist also „Me“, und ein wenig weiter gedocht ließe sich unter Anspielung auf eine andere Bezeichnung des Elektrogeräts, nämlich Walkman, auch eine Repräsentation des abwesenden, und also weggegangenen Restkrpers finden.

Vor dem Tisch sieht man nun die Lehne eines Holzstuhls. Wohin die Sitzfläche weit, ist nicht auszumachen. Ist der Stuhl einladend zur Tafel geschoben, oder steht er von ihr weggedreht, weil hier bereits jemand das Mahl verlassen hat, von Grausen geschüttelt oder ausreichend amüsiert? Fünf schmale Holzsäulen stützen das gebogene Außenteil der Lehne, so dass man sieben strahlenartig auseinander lufende Holme vor derunteren Partie des Bild bis vor die angeschnittene Goldplatte gestellt bekommt. Das kann der siebenarmige Leuchter sein, aber auch Fenster aus Gitterstäben. Oder sind es gar die Strahlen des Dunkel von unten? Die siebenzahl wiederholt sich bei den 7 Hügelgipfeln der Blauen Berge und am Himmel, wo sieben graue Wolken zwischen je drei schwarzen udn drei weißen verteilt sind? Welches Wetter kündigt sich am ansonsten strahlend blauen Himmel an? Und schließlich: Wer ist geladen, wer hat eingeladen?

Der rosarot und eher im Las-Vegas-Stil denn nach den (ironisch?) aufgenommenen Gesetzen christlicher Farbsymbolik überzogene Altar läßt sich als Adaption von Motiven aus der geistlichen Kunst verstehen. Wein und Brut, Fleisch udn Blut, christlicher Kelch und haidnischer SchädelbecherSchrift udn Symbol. Aber das, was hier „angerichtet“ ist, geht nicht so leicht auf. Welche Werte werden wie gesetzt?

Dann stellt sich noch die Frage der Landschaft. Der Tisch lädt zum Frühstück für Kannibalen en plein air, inmitten ener paradisisch unberührten Landschaft. Keine Spur vom Menschen denn Gegenstände udn ein Kopf. Die weite grüne Wiese schwingt sanft in beunruhigende Schatten hinein, ohne dass ein Einstrahlwinkel des natürlichen Licht auszumachen ist. Eine Baumreihe scheidet den Blick auf den Fuß des Gebirges ab. Wahrscheinlich zieht sich hinter dieser Baumreihe der ruhige Fluss des Vergessens von rechts nach links.Sind wir hier nicht im antiken Hades, den elyseeischen feldern, auf der Aspholedos-Wiese? Oder ist das Paradies tatsächlich zurückgewonnen, wenn der Künstler es wagt, im eigenen Saft zu stehen? Eva braucht ein mann, der bloß noch Kopf ist, auch nicht mehr. Da läßt sich Ärger sparen udn schön schwul sein.

Der blutende, abgetrennte Kopf macht den Künstler und sein Künstliches wieder zum Teil der Natur. Strafe muss sein, wenn man sich für Christus ausgibt. Blasphemie kommt hinter Gitter. Nature morte still alive. Live stillhalten als wäre man ein toter Mann. Hält man das aus? Kommt man sich kastriert vor?

München, Oktober 2000

Dr. Anton Sergl († 2004)